Donnerstag, 27. November 2014

Von der Kraft, die Hand zu senken und aufzustehen

In den letzten beiden Wochen las ich gleich drei Blog-Artikel zum Thema "Gewalt gegen Kinder". Angefangen hat es in dem Blog Geborgen Wachsen mit einem Aufruf gegen Gewalt gegen Kinder. Weiter ging es in dem Blog Wunschkind - Herzkind - Nervkind mit der Aktion: Kinder sind unschlagbar. Vor wenigen Minuten las ich den Eintrag Es hat dir nicht geschadet in der Jazzlounge.

Von meinen Taten und Nicht-Taten


Mir wird bei diesem Thema das Herz eng. Ich fühle regelrecht, wie sich etwas um mein Herz legt und mir kalt wird. Es sind keine Erinnerungen aus meiner Kindheit, die dies hervor rufen. Es sind meine Taten - und vor allem meine Nicht-Taten.

Während ich noch darüber nachdenke, kommen mir diese Worte in den Sinn: Mit dem Schlagen von Kindern aufzuhören, ist eine ebenso große Herausforderung, wie mit dem Rauchen aufzuhören. Was mich persönlich betrifft, ist die Herausforderung sogar größer. Ich rauche seit etwa sieben Jahren nicht mehr. Wann habe ich das letzte Mal einem Kind einen Klaps gegeben?

Wie kommt es überhaupt dazu?

Ich kann nur von mir persönlich,  meinen eigenen Taten und Nicht-Taten erzählen. Wie komme ich dazu, einem Kind einen Klaps zu geben? (Das Wort "schlagen" möchte ich noch nicht einmal denken, und doch ist auch ein Klaps ein Schlag!)
Ich bin überfordert. Es mag angestauter Stress des Tages sein, Wut über irgendetwas oder irgendjemanden und - oder auch einzig - ein unfolgsames, vielleicht zusätzlich quängelndes Kind. Wer kann sich von so etwas freisprechen? Kannst du es? Wirklich? Dann bewahre es dir.

Ich erinnere mich sehr genau an die Situation, als ich das letzte Mal einem Kind einen Klaps gegeben habe. Es fällt mir dagegen nicht mehr ein - und dafür bin ich sehr dankbar - wann diese Situation war. Es ist schon eine ganze Weile her und es war tatsächlich das letzte Mal.
Danach gab es noch häufig Situationen, in denen ich die Hand erhoben hatte. Ich hatte meine große Hand gegen ein kleines Kind erhoben im Begriff zuzuschlagen (Irgendwie klingt "einen Klaps geben" wesentlich harmloser.) und habe es nicht getan. Ich hatte rechtzeitig bemerkt, was ich zu tun im Begriff war. Ich glaube, ich habe in diesem Moment jedes Mal die Hand sinken lassen und das Kind umarmt - ganz gleich, was die Situation ausgelöst hatte, womit das Kind meine Ohnmacht hervorgerufen hatte. Ich hatte sie in diesem Moment überwunden und war voll Dankbarkeit. Auch eine solche Begebenheit ist bereits eine kleine Weile her. Darüber bin ich sehr froh und dankbar.

Weil Kinder weniger Mensch sind, als Erwachsene?

Ich bin eine erwachsene Frau. Ich habe 34 Jahre Lebenserfahrung gesammelt. Zu einigen Themen habe ich einen sehr hohen Anspruch an mich selbst und dazu gehört, dass ich nicht schlage.
Ich käme niemals auf die Idee, einen anderen erwachsenen Menschen zu schlagen, gleich wie beschissen mein Tag war oder wie sehr diese Person mir auf die Nerven gehen mag. Es gibt etliche Situationen und Menschen, bei denen ich dieses Bedürfnis Verlangen mitunter habe - doch setze ich es nicht in die Tat um.
Warum tat ich es bei kleinen Kindern? Warum tun es so viele Erwachsene bei Kindern?
Der Grund mag in den Erfahrungen eines jeden schlagenden Menschen liegen, doch in der unmittelbaren Situation gibt es meines Erachtens nur einen einzigen Grund. Der Erwachsene hat sich auf den geistigen und emotionalen Stand eines Kindes zurückentwickelt.

Weil ich im Innern ein Kind bin?

Ich habe beobachtet, dass Kinder schlagen und schubsen. Auch in Haushalten, in denen Kinder keine körperliche Gewalt erfahren, schlagen und schubsen sie andere Kinder häufig, noch ehe sie ihren ersten Geburtstag gefeiert haben. Schlagen ist ein Ausdruck von Ohnmacht. Und grade Kleinstkinder, die sich noch nicht verbal mitteilen können, entdecken das Schlagen für sich als ein Instrument des Sich-Mitteilens. Wenn sie damit erfolgreich sind, setzten sie dieses Instrument immer wieder ein - logisch.
Die Kinder, für die ich verantwortlich bin, halte ich von Anfang an dazu an, andere Wege, als körperliche Gewalt zu entdecken. Ich lebe sie ihnen vor. Ich stoppe sie in ihrem Tun, erkläre ihnen andere Möglichkeiten und lebe sie immer wieder vor. Es funktioniert - auch schon bei den ganz Kleinen! Selbst, wenn sie noch nicht mehr als ein paar Worte verbal sprechen können! Ich erlebe es!
Wenn Kinder unter 3 Jahren andere Konfliktlösungen für sich entdecken können, sind sie in dem Moment, in dem ich schlage, reifer und weiter entwickelt als ich. Und weil ich an mich selbst den Anspruch habe, älter als 3 Jahre zu sein (Es sei denn ich erfreue mich an den Wundern der Natur!), habe auch ich andere Lösungen zu finden.

So viel zu mir und meinen Taten. Was ist nun mit meinen Nicht-Taten?
Was meine ich mit dieser Wortschöpfung?
Ich schreite wirklich nahezu jedes Mal ein, wenn ich beobachte, wie Kinder anderen Kindern körperliche Gewalt antun. Wann schreite ich ein, wenn Erwachsene Kindern körperliche Gewalt antun? Ich tue es - doch viel zu selten. Dies sind meine Nicht-Taten.

Der "kleine Klaps" gehört zum Alltag

Vor einer Weile saß ich in einer Runde mit anderen Frauen beim Abendessen. Wie das bei so einer Frauenrunde nun mal ist, wird über alles Mögliche gequatscht - natürlich auch über (die eigenen) Kinder und deren Erziehung.
Ich war erschrocken, wie selbstverständlich immer wieder angedeutet oder sogar klar ausgesprochen wurde, dass diese Frauen Kinder geschlagen hatten. Die Taten wurden sogar in witzige Anekdoten verpackt. Wie abgestumpft sind wir - gerade wir Frauen und Mütter?!
Ich war entsetzt. Und was habe ich gesagt? Nichts. Nicht ein Wort. Ganz im Gegenteil, ich habe über die Anekdoten gelacht. Was mir im Kopf herum ging, was ich für mich reflektierte, habe ich nicht ausgesprochen.

Ich habe, weil es hat!

Ich hatte einst mitbekommen, wie ein Kind sein Geschwisterchen, das zwei Köpfe kleiner war, so grob schubste, dass es bäuchlings über den Boden rutschte. Ein Elternteil, dass dies sah, schubste daraufhin das Kind mit dem selben Ergebnis. Ich schreibe dies als Beobachtung, wertfrei, denn ich war einst in einer ähnlichen Situation und handelte ebenso.
Und doch ist dies in meinen Augen und aus heutiger Sicht etwas völlig anderes, als wenn ich ein Kleinkind zwicke oder an den Haaren zupfe, um ihm zu zeigen, dass kneifen, beißen und an den Haaren zu ziehen unangenehm bis schmerzhaft ist. Irgendwo hört meiner Meinung nach die Verhältnismäßigkeit auf.
Ich bin eine erwachsene Frau und kein Kind. Wenn ein Kind sein jüngeres Geschwisterchen derart behandelt, habe ich noch lange kein Recht, das kleine Kind ebenfalls so zu behandeln. Ich habe andere Lösungen zu finden - und dazu gehört auch die Lösung, dem Kind auf eine andere Weise zu vermitteln, was es in seinem Geschwisterchen ausgelöst hat. Vor allem gehört dazu, dem Kind einen anderen Weg vorzuleben.

Ein Krieg hat noch keinen Frieden gebracht und ein Klaps kein freundliches Wort

Ich sah einst, wie ein Kind in seiner Wut einem Elternteil eine Beleidigung an den Kopf warf. Das andere Elternteil hatte dies gehört. Es stellte das Kind zur Rede. Dieses floh in eine Lüge. Und schon saß der Klaps. Ich war dabei und schwieg.
Ob der Klaps nun wegen der Lüge oder wegen des Schimpfwortes folgte, ist vollkommen irrelevant. Es fällt mir schwer, in dem schlagenden Elternteil, das Sekunden zuvor lediglich ein Beobachter gewesen war, die Ohnmacht zu sehen, die ich oft in mir selbst spürte. Meines erachtens war dieser Klaps eine Strafe. Und ich habe geschwiegen.

Wenn ich nicht tue, was ich sage... - und wenn doch?

Die Androhung von Gewalt (selbst wenn nicht die Absicht besteht, sie auszuführen) erachte ich als ebenso dramatisch. Wie oft höre ich den Satz: "Wenn du nicht..., dann gibt es was auf den Po." (Oder ähnlich.) Selbst von Kindern habe ich ihn schon gehört! Und wie oft sage ich etwas dazu?
Eine solche Drohung ist gleich doppelt unsinnig. Setze ich sie, nachdem alle Worte nicht zu dem von mir gewünschten Ergebnis führten, in die Tat um, schlage ich, entwickel mich damit selbst auf den Stand eines Kindes zurück. Von dem, was dies in dem Kind auslöst und mit der Bindung des Kindes zum Erwachsenen anstellt, gar nicht erst zu reden.
Ist diese Ankündigung nur ein leeres Versprechen, lernt das Kind, dass ich nicht umsetze, was ich sage. Wenn ich schon meinem eigenen Wort nicht folge, warum sollte es dann ein Kind tun?

Einst war ich dabei, als ein Elternteil, dass von einem Kind während des Einkaufens genervt war, sagte: "Wenn du jetzt nicht ruhig bist, stecke ich dich in diese Gefriertruhe und gehe nach Hause."
Ich war entsetzt - und ich schwieg. Obwohl diese Erinnerung bereits einige Jahre alt ist, bin ich von ihr noch geschockt. Was löst eine solche Aussage in einem kleinen Kind aus?

Wie viel Kraft und welche Energie steckt wirklich in mir?

Warum kostet es einen Erwachsenen so viel Kraft, nicht die Hand zu erheben? Warum braucht es so unendlich viel mehr Kraft, Mut aufzubringen und aufzustehen, wenn ein Kind geschlagen wird?
Was mich persönlich betrifft, werde ich die Antwort nicht hier ausbreiten. Es reicht, wenn ich die Gründe kenne, denn damit kann ich bei mir selbst etwas bewirken.
Als viel wichtiger sehe ich, dass ein jeder diese Fragen selbst beantwortet, für sich. Wenn der Grund gefunden ist, kommt zunehmend auch die Energie, in der einen Situation die Hand zu senken und in der anderen aufzustehen.

Warum ist mir das wichtig?

Wie kann ich mir wünschen, dass ich niemals am eigenen Leib einen Krieg erleben werde, wenn ich Gewalt in Kindern säe oder zuschaue, wie andere dies tun?
Ich möchte sehen, das Menschen Konflikte lösen, ohne jemanden körperlich zu verletzen. Da ich der festen Überzeugung bin, dass ich nur erlebe, was ich auch vorlebe, liegt es mir, genau dies in die Tat umzusetzen. Ich habe noch nicht den Mut jedes Mal aufzustehen. Aber ich habe den Mut, meine Gedanken nieder zu schreiben und zu teilen.

Namasté

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