Samstag, 17. September 2011

Traumhaus - Zuhause im Traum

Es ist ein Traum von einem Haus. Mein Bruder und meine Schwägerin kennen es selbstverständlich schon, doch die Kinder laufen neugierig vor und ich folge ihnen. Die Fassade besteht aus braunem Backstein, zur Holztür führen drei halbrunde Stufen. Hoch und hell sind die leeren Räume, obwohl die Fenster nicht besonders groß sind. Ich folge den Kindern durch verwinkelte Flure über Treppen und Stufen. Sie reißen eine Tür auf und stürmen hinein. Ich bin gleich hinter ihnen. Staunend bleibe ich stehen, als ich in den Raum trete. Das ganze Haus steht leer, denn die Möbel befinden sich noch auf den Transportern, die auf dem Vorplatz stehen. Doch jetzt stehe ich auf dunklem Teppich. Zu meiner linken entdecke ich eine Duschwanne, zu meiner rechten einer Sitzgruppe. Das Sofa ist wuchtig, sieht aber mit dem abgenutzten, braunen Leder gemütlich aus. Langsam gehe ich ein paar Schritte weiter. Die Mädchen rennen einmal im Slalom um die Möbel und verschwinden wieder durch die Tür, um das übrige Haus zu erkunden. Das Zimmer ist riesig. Um die Ecke geht es weiter, doch ich bin abgelenkt. Integriert im Wohnbereich steht eine Badewanne, die Wand dahinter ist gefliest. Neben der Wanne steht ein Schwenklift, wie er sonst in Altenheimen oder Krankenhäusern zu finden ist.
"Hey, Schatz!", rufe ich über die Schulter. "Hier ist schon alles behindertengerecht eingerichtet!" Kurz darauf kommt meine Frau, die Altenpflegerin, mit meiner Schwägerin ins Zimmer. Solch einen Ausdruck von Irritation muss ich zuvor auch auf meinem Gesicht gehabt haben. Doch ehe wir uns weiter wundern können, rennt unser Hund auf uns zu - wo auch immer er aus diesem leeren Zimmer herkommt. Ihm folgt eine schlanke, braune Dogge, die fröhlich mit dem Schwanz wedelt und uns sogleich beschnuppert. Unsere Blicke liegen auf der Ecke, hinter welcher der Raum weiter gehen muss und wo ein Mann vor tritt. Er ist sicherlich nur wenige Jahre älter als ich. Sein Haar ist braun und voll, zeigt keine Spuren von Grau. Dennoch weiß ich auf dem ersten Blick, dass dieser Mann sehr krank ist und das er sterben wird. Er hat die Hemdsärmel über die Ellenbogen hochgekrempelt und seine Haut klebt an den Knochen. Sein Gesicht ist eingefallen, sein Gang schleppend und müde. Doch seine braunen Augen strahlen vor Lebenswillen. Mit einem Lächeln auf den Lippen begrüßt er uns und erklärt seine Situation. Er ist zurückgeblieben, damit er in Ruhe zu Hause sterben kann.
Unterbrochen werden wir von einem Bärtigen. Er ist sicher noch keine Dreißig, kräftig, strahlt Ruhe und Zuversicht aus. Er nickt uns bloß grüßend zu, doch sein Blick zu dem Kranken ist voller Emotionen. Vor unseren Augen sprechen sie ohne einen Laut, nur durch Mimik und Gestik. Offenbar beruhigt geht der Bärtige wieder. Ich bemerke auch im hinteren Zimmer eine ähnliche Gestalt und mir ist klar: dies sind nicht die letzten  einsamen Zivis. Dies sind gute Freunde, vielleicht sogar Brüder, die den Tod des Kranken nicht fürchten, ihm aber bis zuletzt beistehen werden.

Mein Bruder regt sich auf. Wir stehen in einem großen Raum, das zukünftige Wohnzimmer vermutlich. Der Fremde habe hier nichts zu suchen, ereifert er sich. Er wolle ihn nicht in der Nähe der Kinder haben und er solle nach Hause gehen. Überdeutlich hört jeder, dass er damit "Raus aus meinem Haus" meint. Wir versuchen ihn zu beruhigen. Er sitzt auf einem der ersten Stühle und ich beuge mich von hinten über ihn, halte mein Smartphone in der Hand, zeige ihm eine App. Zu lesen sind die Worte: "Wenn ich nach Hause gehe, ist mein Weg so weit, als wolltest du zum Saturn gehen." Das beruhigt ihn nicht. Vielleicht versteht er den Sinn der Worte auch nicht. Ich herrsche ihn an: "Hey, denk doch mal dran, was mit Papa war! Der wurde extra aus dem Krankenhaus entlassen, um zu Hause sterben zu können!"

Am Abend sind längst viele Umzugshelfer da. Die Arbeit hat auch meinen Bruder beruhigt. Unter dem Sternenhimmel halten wir alle mit der Schlepperei inne und schauen hinauf. Ein leises Schlurfen kündigt den Kranken an, der sich dazu gesellt. Seine beiden Freunde halfen uns schon den ganzen Tag mit den schweren Möbeln. Vielleicht gelang auch ihnen, meinen Bruder umzustimmen?
Ich schaue hinauf zu den Sternen und erkenne Bilder, vier Tiere, wovon mir der Hase am deutlichsten erscheint. Ich sehe nicht nur Sternenpunkte, zu denen ich imaginäre Linien ziehen muss, um das Tier zu sehen. Ich sehe dichte, leuchtende Linien, als hätte sich die Milchstraße neu geformt. Es ist kein Hase wie er im Stall sitzt. Er trägt Hemd und Hose und scheint einem Trickfilm oder Malbuch entsprungen. Das wiederum erscheint mir so surreal, dass ich erwache.

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